08/07/2024 0 Kommentare
Brieffreundschaften - mal ganz anders
Brieffreundschaften - mal ganz anders
# Themenschwerpunkt

Brieffreundschaften - mal ganz anders
Hallo Ute, schön, dass Du Zeit für mich hast. Bei dem Thema „Freundschaft“ kamen unserem Redaktionsteam auch Brieffreundschaften in den Sinn und wir haben uns gefragt, ob es in unserer aktuellen und digitalen Welt heute noch Brieffreundschaften gibt. Ute, wir haben uns im letzten Jahr bei einem anderen Projekt der ev.-luth. Landeskirche Hannovers kennengelernt, und mir sind gleich dein Name und das Schwarze Kreuz zu diesem Thema eingefallen. Du hast beruflich mit einer besonderen Art von Brieffreundschaften zu tun. Bitte erzähle unseren Leserinnen und Lesern davon.
Gerne, danke! Wir sprechen bei uns nicht von Brieffreundschaften, sondern von Briefkontakten. Es sind Kontakte zwischen Menschen in Haft und unseren Ehrenamtlichen. Eine Freundschaft ist eine gleichrangige Beziehung auf der gleichen Ebene. Die Inhaftierten und Ehrenamtlichen dagegen können sich natürlich wunderbar austauschen und verstehen, doch die Ebene ist eine andere. Der oder die Ehrenamtliche begleitet den Gefangenen aus der Entfernung und ist oft eine Art Seelsorger für ihn, Berater, auch mal Klagemauer. Jemand, der verlässlich für ihn da ist, jemand, zu dem er sich hindenken kann.
Straftäter haben der Gesellschaft einen Schaden zugefügt oder anderen Menschen sehr weh getan. Diese Straftaten sind unterschiedlich und reichen von Ladendiebstählen bis zu Tötungsdelikten. Warum kümmert ihr euch trotzdem um diese Menschen?
Auch Straffällige sind von Gott geliebte Menschen. Im Gefängnis haben sie oft keine sozialen Kontakte. Wofür sie auch immer verurteilt wurden: sie sollen und müssen sich wertgeschätzt fühlen. Sie brauchen Beziehungen zu anderen Menschen, gerade außerhalb der Haftanstalt. Diese Beziehungen können Ansporn und zugleich auch Voraussetzung für eine Resozialisierung sein. Irgendwann haben sie ihre Strafe abgesessen und kommen wieder frei. Wir möchten dazu beitragen, dass sie Stabilität, Selbstbewusstsein und Lebensfreude entwickeln und nicht erneut straffällig werden.
Gibt es Untersuchungen oder Erkenntnisse, inwieweit sich euer Engagement auszahlt?
Nein. Wissenschaftliche Untersuchungen gibt es dazu nicht. Wir erkundigen uns aber regelmäßig bei unseren Ehrenamtlichen und den Gefangenen, wie es mit dem Briefkontakt läuft. Gerade bei den Gefangenen sind die Rückmeldungen fast immer sehr positiv. Sie berichten, dass sie durch den Briefkontakt mehr Halt gewinnen, wieder Hoffnung spüren und sich wertgeschätzt und lebendig fühlen. Viele von ihnen sind bereits gläubig, wenn sie sich an uns wenden, und freuen sich, darüber reden zu können. Manche andere entwickeln später Interesse daran. Das freut uns natürlich.
Wie kommt ein Briefkontakt dann zustande und wie lange dauert er?
Ganz unterschiedlich. Im Gefängnis meist übers Weitersagen und über unsere Flyer. Wir arbeiten auch bundesweit mit der Gefängnisseelsorge zusammen, die unsere Angebote kennt. Wenn sich ein Gefangener bei uns bewirbt, suchen wir für ihn einen passenden Ehrenamtlichen aus. Wenn ein Kontakt gut läuft, hält er oft über Jahre, nicht selten über die Entlassung hinaus. Ich kenne einen Kontakt, der schon seit 40 Jahren besteht.
Funktionieren alle Briefkontakte immer reibungslos oder gibt es manchmal Schwierigkeiten? Und wie werden diese dann gelöst?
Die weit überwiegende Zahl der Briefkontakte läuft problemlos. Manchmal kommen allerdings Briefe nicht an oder der Gefangene hat vielleicht Schwierigkeiten, sich auf den Kontakt einzulassen. So ein Briefwechsel ist schließlich gar nicht so einfach. Dann kann ein Kontakt auch früh wieder abbrechen. Probleme besprechen wir mit den Ehrenamtlichen und Gefangenen individuell per email, Brief oder Telefon.
Wer kann bei euch ehrenamtlich mitmachen?
Man sollte mindestens 23 Jahre alt sein, eine gefestigte Persönlichkeit haben und in der Lage sein, auch auf Glaubensfragen der Gefangenen einzugehen. Und jeder muss bereit sein, an drei Online-Abenden teilzunehmen, Studienhefte zu bearbeiten und sich selbst durch das Schwarze Kreuz ausbilden und begleiten zu lassen. Die Kommunikation läuft überwiegend per email. Mehr zum Thema ist auf unserer Homepage zu finden.
Was muss eine Leserin oder ein Leser unseres Gemeindemagazins tun, wenn er oder sie sich für einen Briefkontakt interessiert?
Interessierte können sich gerne über ein Formular auf unserer Homepage (siehe unten) bewerben.
Bei dem Gedanken, mit einem Straftäter einen Briefkontakt einzugehen, habe ich ein wenig Bauchschmerzen. Ist gewährleistet, dass die Privatsphäre und Sicherheit der Ehrenamtlichen gewahrt bleibt?
Eventuelle Bedenken, Ängste und Lösungsmöglichkeiten besprechen wir individuell per Telefon. Der Ehrenamtliche kann den Briefkontakt zum Beispiel über eine Deckanschrift führen. Bis heute ist mir kein Fall bekannt, bei dem ein inhaftierter Briefpartner den Ehrenamtlichen in Gefahr gebracht hätte.
Die meisten Inhaftierten haben nach einer bestimmten Zeit ihre Strafe abgesessen. Was passiert nach der Haft mit diesem Briefkontakt?
Meist enden die Briefkontakte mit der Haftentlassung. Der Entlassene muss sich jetzt um eine Wohnung und Arbeit kümmern, seine Ängste bewältigen, mit Ablehnung klarkommen. Meist läuft ein Kontakt dann aus. Wenn er weitergeführt wird, dann wird er meist oberflächlicher und wechselt vom Brief zu email, WhatsApp oder Telefon.
Noch eine letzte Frage. Was bietet ihr außer Briefkontakten noch für Projekte an?
Unsere beiden bekanntesten: Das Schwarze Kreuz bringt in jedem Jahr einen etwas ungewöhnlichen christlichen Kalender heraus, der gegen eine Spende erworben werden kann und viele Fans sowohl in Haft als auch „draußen“ hat. Und Paketspender packen Weihnachtspakete für Gefangene. Im letzten Jahr waren es 1632 Pakete.
Liebe Ute, herzlichen Dank! Ich wünsche dir bei deiner Arbeit weiterhin viel Freude und Erfolg.
Weiter ausführliche Informationen unter www.naechstenliebe-befreit.de
und über die Paketaktion zu Weihanchten www.nachstenliebe-befreit.de/p...
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