Missglückte Ausreise

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Missglückte Ausreise

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Wilhelm Göke (*1942) hat in den 60er Jahren in Berlin Architektur studiert. Welche besonderen Erfahrungen er gemacht hat, davon berichtet er in einem Interview mit Susanne Jacob

Herr Göke, wie sind Sie überhaupt nach Berlin gekommen?

Ich bin in Castrop-Rauxel geboren, aber mit 8 Jahren nach Nordhorn gekommen. Nach Berlin zum Studieren wollte ich, da dort schon andere Freunde waren und ich daher wusste, dass es leichter war, an Studienplätze zu kommen (die Ost-Studenten sind ja ausgesperrt gewesen); in Westdeutschland betrug die Wartezeit sonst 1- 1 Jahre.

Wie haben Sie Berlin zu der Zeit wahrgenommen?

Die Stimmung war dort schon ganz besonders, zum Teil sehr beklemmend. Die Mauer war im Jahr vorher gebaut worden und 1962, als ich mein Studium begann, wurden an den Sektorengrenzen  der Stadt die Sperrzonen eingerichtet und dafür Gebäude auf DDR-Seite abgerissen. Immer wieder hörte man von Schicksalen Einzelner und Zuständen wie es „drüben“ ist. Insgesamt hatte man (in der Studentenschaft) das Gefühl „man muss was tun“.

Wie sind Sie dann Fluchthelfer geworden?

Ich hatte einen Kommilitonen, der eine Freundin in Ostberlin hatte. Wir überlegten, wie es möglich sein könnte, sie in den Westen zu holen. Unsere Überlegungen kamen Dietrich Rohrbeck zu Ohren, den wir durch das Studium kannten. Rohrbeck hatte zu der Zeit schon einigen DDR-Bürgern zur Flucht verholfen, auch mithilfe westlicher Geheimdienste, z.T. über die Ostsee /Dänemark, z.T. durch Tunnel oder auch durch Schmuggelfahrten in umgebauten Autos.

Er hat uns dann (natürlich unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen, denn der Staatssicherheitsdienst der DDR war schon aktiv) angesprochen. Die Abmachung war, dass wir eine andere junge Frau (C.K.) aus der DDR herausholen sollten und später danach die Freundin des Kommilitonen geholt würde.

Wie genau sollte das passieren?

Wir erhielten von Rohrbeck einen umgebauten Ford-Simca 2,5.  Das Auto hatte vorn eine durchgehend starre Sitzbank in der ein Versteck eingebaut war, das für die Unterbringung eines Erwachsenen gerade ausreichte.

Mit dem Auto fuhren wir erst mal zu einer Erkundungsfahrt nach Ostberlin, ca. zwei Wochen vor dem geplanten Fluchttermin. Da wir (mein Freund G. und ich) Westdeutsche waren, bekamen wir ganz unkompliziert eine Tagesaufenthalts-Genehmigung, die es für Westberliner nicht gab. Der zugelassene Grenzübergang war die Heinrich-Heine-Straße, den auch wir benutzten. Wir hatten bei dieser Erkundungsfahrt zunächst nur den  Auftrag, in Ostberlin eine Orientierungsfahrt und Fotoaufnahmen von markanten Orten und Gebäuden zu machen und das Fluchtfahrzeug davor abzubilden; dies als Test, ob wir  vertrauenswürdig  waren.

Bei der Rückkehr am Grenzübergang wurden wir aufgefordert, den Motor auszustellen, der manchmal Probleme beim Starten hatte und auch diesmal nicht  mehr ansprang. Die DDR-Grenzschützer halfen uns schließlich und schoben den bereits präparierten Wagen mit an und halfen, das Auto in den Westen zurückzubringen. Das Versteck war dabei nicht erkannt worden.

Und zwei Wochen später wurde es ernst.

Am Ostermontag 1963 (15.4.) fuhren wir gegen Mittag wieder über den Übergang Heinrich-Heine-Straße mit den üblichen Grenzkontrollen aber ohne besondere Vorkommnisse. Da wir uns in Ostberlin  wenig auskannten, fuhren wir zunächst in die Karl-Marx-Allee ein, um die Lage des vereinbarten Treffpunktes einzuprägen: Das war die in der gesamten DDR bekannte „Milchbar“.   Dann haben wir eine relativ ruhige Gegend in Berlin-Lichtenberg gesucht, wo die junge Dame in das Versteck klettern könnte. Später habe ich erfahren, dass dies ein bevorzugtes Wohngebiet von MfS-Angehörigen („Stasi“) gewesen sei.

Am Nachmittag haben wir dann den Wagen unweit des Treffpunkts geparkt und sind zu Fuß in die „Milchbar“ gegangen. Dort war bekanntermaßen auch die Staatssicherheit recht präsent.  Wir hatten ein Erkennungsmerkmal mitgeteilt bekommen und trafen C.K. und ihren westdeutschen Verlobten, setzen uns wie Bekannte mit an ihren Tisch, tranken einen Milchshake und unterhielten uns. Nach einer Weile haben wir gezahlt und sind zum Auto gegangen, dort hat sich auch der Verlobte verabschiedet.

Wir sind noch eine Zeitlang durch Berlin gefahren, um die Dämmerung abzuwarten und haben der jungen Frau genau das Versteck und die Verhaltensweisen erläutert (z.B. im Grenzbereich sich nicht zu bewegen, damit das Auto nicht durch Schaukeln auffällt). In der von uns ausgespähten ruhigen Gegend kletterte die junge Frau in das Versteck der Vordersitzbank. Es war erforderlich, dass wir unser Gewicht auf der Sitzbank so verlagerten, dass für sie kein Druck entstand.

Und dann ging es zurück zum Kontrollpunkt Heinrich-Heine-Straße?

Schließlich sind wir vorschriftsmäßig behutsam in den Grenzübergang eingefahren, ausgestiegen und zur Passkontrolle gegangen. Wir wurden kontrolliert und hatten die Papiere schon zurückerhalten, waren auf dem Weg zum Auto, da wurden wir nochmal zurückgerufen. Beim Wiederbetreten des Gebäudes wurden wir gleich getrennt und es waren auf einmal nicht nur Grenzbeamte da, sondern Polizei, Zoll und Grenztruppen. Ich wurde in einen Raum gebracht und durfte erstmal lange warten, bevor ich dann befragt wurde. Sie hatten Frau K. gefunden Am nächsten Tag wurde ich in das MFS-Gefängnis Berlin Pankow in Einzelhaft eingeliefert. Am 29. Juli 1963 wurde ich vom Stadtgericht von Groß-Berlin als Haupttäter (da ich der Fahrer war) zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr u. 6 Monaten wegen des „Verleitens zum widerrechtlichen Verlassen der DDR“ verurteilt. Die Anklage wegen Menschenhandels, worauf 1 -15 Jahre Zuchthaus gestanden hätten, wurde aufgehoben, da ich in der Sache nicht für Geld tätig war. Kurz danach wurde ich dem normalen Strafvollzug der DDR unterstellt.

Möchten Sie über die Zeit berichten?

Ich war in sechs verschiedenen Gefängnissen in der DDR, z.T. sogar in Einzelhaft untergebracht. Auch später durfte ich nicht an Arbeitsaktionen draußen teilnehmen, da bei mir Fluchtgefahr bestand. Die Stasi hat mehrmals versucht, mich „umzudrehen“ und mir u.a. einen Studienplatz in der DDR angeboten, dann wäre ich sofort entlassen worden. Drei Monate vor Ablauf meiner Strafzeit bin ich schließlich durch eine Freikaufaktion der BRD für politische Häftlinge freigekommen. Als wir (ein Transport mit 40 Personen) in einem Notaufnahmestelle unweit von Gießen ankamen, waren wir alle sehr erleichtert: Die Gefühle der Freiheit, die sich der Menschen bemächtigte, sind mit Worten nicht zu beschreiben, sie klingen bei mir bis heute nach.

Zum Sommersemester 1965 setzte ich das unterbrochene Studium in Berlin fort.

Haben Sie später noch Kontakt zu Rohrbeck gehabt oder wissen Sie, was mit Frau K. passiert ist?

 Nein, der Kontakt wurde vorher und auch später äußerst knappgehalten. Auch hinterher wollten wir ja nicht, dass u.U. noch weitere Personen gefährdet würden. Dietrich Rohrbeck ist in seiner Zeit in Berlin nicht aufgeflogen und konnte weiteren Personen, dabei auch Säuglingen, die Flucht ermöglichen.

Lieber Herr Göke, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

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