08/05/2025 0 Kommentare
vom Aus-Reisen
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vom Aus-Reisen
Vom Ausreisen
„Wir könnten ja auch in die Tri-Cities ziehen – da sind die Lebenshaltungskosten günstiger als in Düsseldorf.“ An diesen Satz kann ich mich noch gut erinnern. Wir waren auf einer längeren Autofahrt und sprachen über Zukunftspläne. Das Leben mit zwei kleinen Kindern in Düsseldorf war schön, aber auch nicht gerade günstig trotz unserer zwei Einkommen. Die Idee meines Mannes, für eine Zeit in die USA in die Nähe seiner Familie zu ziehen, war nicht ganz neu, aber das erste Mal nach acht gemeinsamen Jahren in Deutschland erschien sie uns plausibel. Nur – wie plant man einen interkontinentalen Umzug mit zwei kleinen Kindern? Selbst jemand wie ich, die gern von anderen als „Organisationstalent“ bezeichnet wird, musste erst einmal schlucken. Nach einiger Recherche war klar, wir etwa ein Jahr Planung brauchen würde.
Wir ließen es langsam angehen. Als erstes musste ein Job her – ohne diese Sicherheit wollten wir uns nicht auf das Abenteuer einlassen. Nach den ersten Bewerbungen im Juli, war ein Flug in die USA im November zu mehreren Bewerbungsgesprächen nötig, das ging inklusive Stippvisite bei den Eltern und Großeltern, während ich in Deutschland die Stellung hielt. Es klappte mit der Anstellung wie wir es gehofft hatten.
Nun war die Frage nach dem Visum, besser bekannt als sogenannte „Greencard“, die inzwischen gar nicht mehr grün ist, für mich. Schnell stellte sich heraus, dass dies die größte Hürde werden sollte. Als Ehefrau eines US-Bürgers ist die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zwar eigentlich eine Formsache, aber wer schon einmal über Bürokratie in Deutschland geschimpft hat, hat noch nie mit der Bürokratie in den USA zu tun gehabt… Man sagte uns, 10-13 Monate Bearbeitungszeit seien normal. Zum Glück war es für uns nicht der erste Antrag – nach Visen für das Studium in Japan und der Aufenthaltsgenehmigung für Benjamin in Deutschland hatten wir schon Erfahrung in solchen Dingen. Auch die amerikanischen Pässe und Sozialversicherungsnummern für unsere beiden Kinder beim Konsulat in Frankfurt zu beantragen, hatte uns mit dem System vertraut gemacht.
Trotzdem war dieses etwas Besonderes. Eine Gesundheitsprüfung bei einem dafür besonders spezialisierten Arzt in Duisburg (in Düsseldorf gab es einen solchen nicht!) war nur einer der Termine, die ich absolvieren musste. Am Spannendsten war aber ein polizeiliches Führungszeugnis aus Japan, da ich ja während meines Studiums ein Jahr Kyoto gelebt hatte. Dafür musste ich im japanischen Generalkonsulat ein spezielles Formular ausfüllen und Fingerabdrücke nehmen lassen wie man es aus Kriminalfilmen kennt. Allerdings klappte die Zusendung nach drei Monaten auf den Tag genau, wie man es mir versprochen hatte. Nach Einsendung des Führungszeugnisses dauerte es auch nicht mehr lange, bis ich den ersehnten Interviewtermin in Frankfurt hatte. Das Interview selbst war ebenfalls eine Formsache, die kaum fünfzehn Minuten dauerte, was sicherlich auch daran lag, dass wir bereits lange verheiratet waren und Kinder hatten.
Nun ging es an den Umzug an sich. Benjamin hatte bereits im Februar seinen neuen Job in den USA angetreten, während ich mit den Kindern in Deutschland auf Nachricht aus dem Konsulat gewartet hatte. Aus meiner Firma kannte ich bereits ein Unternehmen, das auch internationale Umzüge machte. Sie kamen zu uns in die Wohnung und begutachteten unsere Möbel und Ausstattung, um abzuschätzen, wie groß der Container sein müsste, der unser Hab und Gut in die USA transportieren sollte. Es war schnell klar, dass es kostengünstiger war, alles mitzunehmen, als neu kaufen zu müssen. Elektrische Geräte würden wir aufgrund der unterschiedlichen Stromspannung allerdings nicht benutzen können und verkauften oder verschenkten, was möglich war. Vorratsbehälter aus der Küche wurden entleert und ihn Inhalt in Tütchen an Familie und Freunde verschenkt. Blumen fanden bei Kollegen ein neues Zuhause, damit die Töpfe gesäubert mit verpackt werden durften. Lebensmittel, Blumenerde und dergleichen darf nämlich nicht eingeführt werden.
Im Juli kamen schließlich die Umzugsmenschen und begannen, den Inhalt unserer Wohnung – Möbel, sowie Geschirr, Kleidung, Spielsachen, Fahrräder usw. einzupacken. Aus Gründen der Zollabfertigung durften wir unsere Sachen nicht selbst einpacken. Der Tag, an dem der Container kam, war sehr aufregend. Alles wurde – wie in dem bekannten Videospiel – hineingepackt bis er am Ende des Tages fast voll war. Jedes Packstück war mit einem Aufkleber gekennzeichnet, so dass wir bei Ankunft kontrollieren konnten, ob auch alles da war. Zum Schluss wurde der Container verplombt und fuhr gen Rotterdam davon.
Zum Schluss waren noch alle möglichen und unmöglichen Dinge abzumelden – von der GEZ bis hin zu Bahncard, Telefon, Krankenversicherung und Wohnung. Wenn man Deutschland auf unbestimmte Zeit verlässt, wird man automatisch umgemeldet ans Standesamt I in Berlin. Wenn man noch in Deutschland wählen möchte, muss man sich in ein besonderes Wählerverzeichnis eintragen lassen, um die Wahlunterlagen zugesandt zu bekommen. So verabschiedeten wir uns Stück für Stück von unserem Leben in Deutschland.
Ein paar Tage später sollte schließlich auch unser Flug gehen der neuen Heimat entgegen. Aus dem Konsulat hatte ich einen Umschlag mit Unterlagen erhalten, die ich bei der Einreise dem Grenzbeamten zeigen sollte, dazu den Aufkleber in meinem Ausweis. Die richtige Greencard erhielt ich nach Ankunft in unserem neuen Zuhause per Post. Bewusst hatten wir zur Einreise den Flughafen in Seattle gewählt, der relativ überschaubar ist und meist keine langen Schlangen an den Einreiseschaltern hat. So lief die Ankunft auch recht problemlos und Benjamin konnte uns drei müde aber wohlbehalten in Empfang nehmen.
Vorort begann dann das Leben mit allen weiteren Formalitäten – Bankkonto, Schule für die Kinder, Nachbarschaft und Einkaufsmöglichkeiten erkunden, Spielplätze und Restaurants kennenlernen, Familie und alte Bekannte wiedersehen und langsam heimisch werden. Die ersten vier Wochen waren besonders abenteuerlich, weil wir ja noch auf die Ankunft unseres Containers warteten. Bis auf die Dinge, die wir in den Koffern mitgenommen hatten, waren wir noch auf das Campinggeschirr der Schwiegereltern angewiesen und schliefen auf Matratzen und Feldbetten. Die Kinder erinnern sich an diese Zeit allerdings mit Freude. Als endlich der große Tag da war und der LKW mit unserem Container um die Ecke bog – der immer noch genauso aussah, wie als wir ihn in Düsseldorf knapp zwei Monate zuvor verabschiedet hatten, war die Aufregung groß. War alles heil geblieben? Wo war was eingepackt? Unser Sohn war besonders begeistert, als endlich sein TrippTrapp zum Vorschein kam, unsere Tochter freute sich über ihre Puppenküche. Wir Erwachsenen waren froh, endlich das Haus einrichten zu können. Das Auspacken entpuppte sich ein bisschen als Überraschungskiste, da wir ja nicht selbst gepackt hatten und auch nicht alles so genau beschriftet war, dass wir es direkt wiederfanden. Unser Besteck zum Beispiel musste ich mehrere Tage suchen…
Während die Formalitäten die eine Seite eines solchen Umzugs sind, ist die emotionale Seite eine ganz andere. In einer Familie wie unserer ist es allerdings selbstverständlich, dass ein Partner immer weit weg von seiner /ihrer Familie lebt, das lässt sich nicht verhindern. Wir haben Abschiede im Kindergarten, in der Kirche, mit Freunden und mit der Familie gefeiert. Eine große Party, Abschiedsessen in unterschiedlichen kleineren Kreisen, eine intensive Zeit bei Oma und Opa bevor es auf die große Reise ging. Wir hatten uns zwar gesagt, dass es kein Abschied für immer sein sollte, aber wir wussten auch, dass es nicht vorauszusehen war, ob wir in ein paar Jahren den Rückweg noch einmal antreten wollen würden. So gingen wir in dem Bewusstsein, dass wir möglicherweise in Deutschland nicht wieder leben würden.
Es wurde die eine oder andere Träne geweint, viele herzliche Umarmungen ausgetauscht, Abschiedsgeschenke und -Briefe verteilt und Andenken entgegengenommen. Zum Glück ermöglicht uns die moderne Technik heute mit Video-Calls und Text- und Bildnachrichten mit Freunden und Familie einfach in Kontakt zu bleiben, so dass wir zwar oft nicht persönlich beieinander sein konnten, aber doch am Leben der anderen weiter teilhaben konnten. Besuche wurden dann natürlich besonders intensiv genossen.
Wir bauten wir uns nach und nach in der neuen, alten Heimat ein ganz neues Leben auf mit Freunden, Kollegen, Nachbarn, Schulkameraden. Wir kauften ein Haus, bekamen noch einmal Familienzuwachs, und schließlich noch ein paar Hühner, die sich in unserem Garten sehr wohl fühlten.
Dass wir den Schritt zurück nach Deutschland noch einmal gehen würden, schien immer schwerer vorstellbar. Nach fünf Jahren in den USA kam dann aber doch der Zeitpunkt, der uns entscheiden ließ, dass es für die Familie gut wäre, zurückzugehen. Inzwischen erprobt in den Formalitäten und dem Umzug, ging es beim zweiten Mal innerhalb weniger Wochen, dass der Container einmal mehr vor unserem Haus stand, wir wieder elektrische Geräte, Gewürze und Topfblumen verschenkten, größere und kleinere Abschiede anstanden und es mit dem Mietwagen gen Flughafen ging, um die Heimreise anzutreten.
Nach inzwischen fast fünf Jahren zurück in Deutschland, sind wir auch hier wieder richtig heimisch geworden. Fehlt uns was? Familie und Freunde werden in unserem Leben immer fehlen, je nachdem auf welcher Seite des Atlantiks wir uns befinden. Die Landschaft und einige Aspekte des Lebens dort vermissen wir natürlich und genießen die Besuche in der alten Heimat. Genauso haben wir in den USA einige deutsche Traditionen vermisst. Festlegen, ob es irgendwo besser ist, wollen wir uns nicht. Für uns und unsere Kinder waren die fünf Jahre in den USA in jeder Hinsicht eine Bereicherung, von der wir immer zehren werden.
Roswitha Stürmer
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